30th Juli, 2024

Prozess gegen kurdischen Aktivisten: Verfolgter oder Terrorist?

Seit November steht Kenan Ayaz in Hamburg vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, Demonstrationen für die PKK organisiert zu haben. Könnte es sich um Terrorismus handeln?

Ein Artikel von Bartholomäus von Laffert

Der Besucherraum im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis ist stickig und eng. Ein Mann mit blau-grün kariertem Hemd, randloser Brille und schütterem Haar sitzt hinter einer Glasscheibe. Die deutschen Sicherheitsbehörden halten ihn für einen Terroristen. Er selbst sagt: „Ich habe in meinem Leben noch nie einer Ameise etwas zuleide getan“. Kenan Ayaz, 49, ein Kurde aus der Türkei, sitzt seit 13 Monaten in Hamburg in Untersuchungshaft. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm viereinhalb Jahre Gefängnis.

Ayaz, der als anerkannter politischer Flüchtling in Zypern lebte, werden keine Gewalttaten vorgeworfen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, an der Organisation von „Propagandaveranstaltungen und Versammlungen“ wie Demonstrationen und Festen sowie an der Geldbeschaffung beteiligt gewesen zu sein. Das sind für sich genommen noch keine Gesetzesverstöße. Wäre da nicht der Terrorismusparagraph 129b des Strafgesetzbuches. Weil Ayaz seine Tätigkeit als verantwortlicher Kader der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausgeübt haben soll, wird aus einem an sich legalen Verhalten eine „Betätigung“ in einer terroristischen Vereinigung.

Für die deutschen Sicherheitsbehörden ist die PKK „mit ihren rund 14.500 Anhängern in Deutschland die mitgliederstärkste terroristische Vereinigung auf deutschem Boden“. Die Organisation wurde 1993 in Deutschland per Gesetz verboten, zu einer Zeit, als die PKK türkische Einrichtungen angriff, Schutzgelder erpresste und die öffentliche Ordnung in Deutschland bedroht sah. Im Jahr 2002 wurde sie auf die europäische Terrorliste gesetzt.

Kenan Ayaz

„Mörder sind nur ein paar Tage in Einzelhaft, aber als politischer Gefangener war ich drei Monate dort“

Es gibt aber auch eine andere Sichtweise, nämlich dass die Gewalt der PKK eine Reaktion auf die Unterdrückung der Kurden in der Türkei ist. Dass die PKK seit Jahren um Frieden bemüht ist, während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Verhandlungen 2015 abbrach. Und vor allem: dass die PKK seit Mitte der 1990er Jahre keinen terroristischen Akt mehr in Deutschland begangen hat. Ist das Verfahren gegen Kenan Ayaz vor diesem Hintergrund verhältnismäßig, oder reagiert die deutsche Politik gar auf Erdoğans Wünsche?

Kein Einzelfall

Um in den Besucherraum zu gelangen, muss man sechs schwere Türen aus Eisen und Panzerglas passieren und an mehreren Sicherheitsleuten vorbeigehen. Sie werden von einem kurdischen Dolmetscher und einem LKA-Beamten begleitet, der in den nächsten 30 Minuten darauf achtet, dass das Gespräch nicht auf den Prozess oder die PKK kommt.

Kenan Ayaz legt seine Hand zur Begrüßung an das Fenster. Ein freundliches Nicken. „Rojbaş“ – „Rojbaş“ – „Tu çawa ye?“ – „Danke, gut und selbst?“ Ayaz lächelt, es geht ihm gut, sagt er. Besser als in der Einzelhaft, wo er die ersten Monate in Deutschland verbracht hat, sagt er. „Mörder oder andere Verbrecher sind nur ein paar Tage in Einzelhaft, aber als politischer Gefangener war ich drei Monate dort“, sagt Ayaz.

Seine Verhaftung zeigt, dass sein Fall für Deutschland von besonderer Bedeutung ist. Am 15. März 2023 wurde er auf dem Flughafen Larnaca auf Zypern festgenommen und festgehalten, als er auf dem Weg zu seiner Familie in Schweden war. Grund dafür war ein Haftbefehl, der Mitte Mai 2022 vom Generalbundesanwalt beantragt und dann vom Bundesgerichtshof erlassen wurde. Das Gericht ist eine der höchsten juristischen Instanzen in Deutschland. Ayaz wird wie ein Staatsfeind behandelt.

Der Fall Ayaz ist kein Einzelfall. Nach Informationen der kurdischen Nachrichtenplattform ANF wurde Anfang Juni das mutmaßliche PKK-Mitglied Ferit Çelik aus Schweden ausgeliefert. Dies bestätigt zumindest die Staatsanwaltschaft Koblenz: Der Tatverdächtige sei in einem Ermittlungsverfahren aufgrund eines europäischen Haftbefehls in Schweden festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert worden. Ob es sich dabei um Çelik handelt, beantwortet die Generalstaatsanwaltschaft mit Verweis auf den Datenschutz nicht.

Ein weiterer Fall betrifft Mehmet Çakas. Çakas wurde am 10. April vom Oberlandesgericht Celle wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (PKK)“ zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Am 13. Juni wurde die kurdische Frauenrechtlerin Gülhatun Kara in Frankreich aufgrund eines deutschen Auslieferungsersuchens festgenommen, berichtet das Portal ANF. Die Staatsanwaltschaft Koblenz bestätigt die Festnahme eines Beschuldigten in Frankreich. Aus Datenschutzgründen bleibt unklar, ob es sich um Kara handelt.

Folter im türkischen Gefängnis

Wie fühlt es sich für Kenan Ayaz an, nach der Verfolgung in der Türkei wieder in Deutschland im Gefängnis zu sitzen? Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. „Haben Sie sich mit meiner Biografie befasst?“, fragt Ayaz. Er hat seine Geschichte in einer persönlichen Erklärung vor Gericht erzählt.

1975 wurde er als siebtes von acht Kindern in eine kurdische Familie in dem überwiegend kurdischen Dorf Halaxe, Narli auf Türkisch, in der Provinz Mardin geboren. Er erinnert sich noch an die Verwirrung an seinem ersten Schultag, als er die Lehrer nicht verstehen konnte, weil sie im Gegensatz zu seiner Familie und seinen Nachbarn Türkisch sprachen. „Das war der erste große Schock in meinem Leben, vielleicht sogar das erste Trauma“, sagte Ayaz dem Gericht auf Türkisch.

Wenn er und die anderen Kinder auf dem Schulhof Kurdisch sprachen, wurden sie von den Lehrern mit einem Stock geschlagen, berichtet Ayaz. Als es Ende der 1980er Jahre in der Provinz immer häufiger zu Zusammenstößen zwischen der PKK und dem türkischen Militär kam und sein Vater immer wieder willkürlich verhaftet und verhört wurde, beschlossen seine Eltern, ihn und seinen jüngeren Bruder auf eine Schule in dem Touristenort Alanya zu schicken.

Am 9. September 1993 verhaftete die türkische Polizei ihn zum ersten Mal zusammen mit seinem 13-jährigen Bruder. Ihm wurde keine Gewalttat zur Last gelegt. Ihm wurde vorgeworfen, zwei Monate lang in einem Bezirkskomitee für die PKK gearbeitet zu haben. Ayaz stritt dies ab. Daraufhin sei er gefoltert worden, sagte er dem Gericht laut ANF. „Sie haben mir am ganzen Körper Elektroschocks verpasst, vor allem an Händen und Zehen. Sie bespritzten mich mit kaltem Wasser, ich musste mich nackt auf den nassen Beton legen. Sie zwangen mich auf den Boden und schlugen mich mehrmals auf die Fußsohlen.“

Diyarbakir, 1993: Die türkische Armee stoppt eine Demonstration während des kurdischen Neujahrsfestes Foto: Michiel de Ruiter

Nach Angaben seiner Anwältin Antonia von der Behrens wurde er aufgrund seines Geständnisses zu 15 Jahren Haft verurteilt, von denen er mehr als 11 verbüßte. Im Jahr 2009 wurde er erneut inhaftiert, nachdem er einem kurdischen Freund im Kommunalwahlkampf geholfen hatte. Nach sechs Monaten wurde er von der Anklage, Mitglied der PKK zu sein, freigesprochen und freigelassen.

Ein politisch motivierter Prozess?

Im Jahr 2010 wurde er zusammen mit 150 weiteren Personen im sogenannten Hauptverfahren gegen die KCK, eine Unterorganisation der PKK, angeklagt. Er flieht nach Zypern, wo er als politischer Flüchtling anerkannt wird. In den folgenden Jahren reist er immer wieder durch Europa, um Freunde und Familie zu besuchen – und um für die PKK zu arbeiten, wie ihm die deutsche Staatsanwaltschaft vorwirft.

20 Jahre nach seiner ersten Freilassung steht er nun wieder vor Gericht. Nicht in der Türkei, sondern in Deutschland. Am 3. November 2023 begann in Hamburg der Prozess. Die Vorwürfe sind denen aus der Türkei ähnlich. Laut ANF erklärte die Verteidigung zu Beginn des Prozesses: „Die Erklärung dafür, dass Kurden in Deutschland als angebliche Mitglieder der PKK weiterhin intensiv als Terroristen verfolgt werden, kann nur sein, dass diese Strafverfahren nicht im innenpolitischen, sondern im außenpolitischen Interesse Deutschlands liegen.“

Es ist ein Vorwurf, der für einen Rechtsstaat kaum schwerwiegender sein könnte: der Vorwurf, dass die Justiz nicht durch das Gesetz, sondern durch politische Interessen gesteuert wird. Könnte das noch wahr sein? Um zu verstehen, warum ein politischer Flüchtling wie Ayaz, der vor allem gewaltfreie Proteste mitorganisiert haben soll, mit so viel Aufwand verfolgt wird, muss man mehr als 30 Jahre zurückgehen.

Während der Krieg des türkischen Militärs gegen die PKK in der Türkei Anfang der 1990er Jahre eskalierte, Tausende kurdischer Dörfer zwangsgeräumt und Zehntausende von Menschen getötet wurden, versuchte die PKK, mit Gewalt für ihre Sache zu werben. Nach Angaben des Verfassungsschutzes verübten PKK-Aktivisten im Juni 1993 fast zeitgleich rund 60 Anschläge und Brandanschläge auf türkische diplomatische Vertretungen, Banken, Reisebüros, Restaurants und Clubs in verschiedenen deutschen Städten.

Dabei wird ein türkischer Staatsbürger getötet und mehrere Personen verletzt. Im Juni 1993 nehmen mutmaßliche PKK-Anhänger Geiseln im türkischen Generalkonsulat und fordern vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl eine öffentliche Erklärung: Er solle die „Kriegshandlungen“ der türkischen Regierung gegen die Kurden verurteilen. Aufgrund der Waffenexporte betrachtete die PKK Deutschland als „Kriegsgegner Nummer zwei“. Daraufhin wurde die PKK 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt.

Einstufung der PKK nicht mehr zeitgemäß

Mitte der 90er Jahre kam es zu einem Wendepunkt. Der damalige PKK-Führer Abdullah Öcalan erklärte, die Organisation werde auf deutsche Interessen Rücksicht nehmen und keine Gewalt mehr auf deutschem Boden anwenden. Seitdem ist die Gewalt massiv zurückgegangen. Taten wie Mord oder Totschlag tauchen in den Berichten des Verfassungsschutzes nicht mehr auf.

Das PKK-Verbot ist in Deutschland seit Jahren Gegenstand heftiger Debatten. Die Linksfraktion im Bundestag hatte bereits 2014 die Aufhebung des Verbots beantragt: „Angesichts der laufenden Friedensverhandlungen mit dem türkischen Staat und der herausragenden Rolle der PKK und der ihr nahestehenden Milizen im Kampf gegen den terroristischen IS im Irak und in Syrien“ sei die Einstufung der PKK als terroristische Organisation durch die EU „überholt und realpolitisch kontraproduktiv“. Seitdem ist nichts mehr passiert.

Laut Verfassungsschutzbericht 2023 nutzt die PKK Deutschland vor allem, um Großveranstaltungen abzuhalten, in eigener Sache Propaganda zu betreiben und neue Anhänger zu rekrutieren. Seit Juni 2013 sind dem Verfassungsschutz 370 Fälle von Anwerbung bekannt. Nach Angaben des Verfassungsschutzes soll die PKK zudem bei ihrer jährlichen Spendenaktion im Jahr 2023 insgesamt 16 bis 17 Millionen Euro gesammelt haben. Diese würden „in erster Linie für den Unterhalt der Organisation, aber auch für ihren umfangreichen Propagandaapparat in Europa verwendet.“

Demonstration gegen das PKK-Verbot in Berlin im Jahr 2023 Foto: Florian Boillot

Der Verfassungsschutz schreibt weiter: „Die PKK hat weiterhin ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt. Eine militärische Präsenz im türkisch-irakischen oder türkisch-syrischen Grenzgebiet steht im Gegensatz zu einer grundsätzlich friedlichen Haltung in Deutschland und Europa. (…) Die PKK ist aber nach wie vor in der Lage und bereit, in Deutschland zumindest gelegentlich Gewalt anzuwenden und Gewalttaten ihrer jugendlichen Anhänger zu tolerieren.“

Die Organisation richtet sich vor allem gegen rechtsextreme oder nationalistische Türken wie die Anhänger der Grauen Wölfe, die im Gegensatz zur PKK in Deutschland noch nicht als Verein verboten sind. Ob die Anschläge auf staatsnahe türkische Einrichtungen durch mutmaßliche Kurden tatsächlich von PKK-Gruppen geplant und durchgeführt wurden, geht aus dem Verfassungsschutzbericht nicht hervor.

Erdoğan freut sich über Strafprozess

Kenan Ayaz ist keiner dieser Taten angeklagt. Er wird nicht einmal direkt mit ihnen in Verbindung gebracht. Dass er dennoch in Deutschland strafrechtlich verfolgt wird, wird durch den Paragrafen 129b des deutschen Strafgesetzbuches ermöglicht. Danach können Mitglieder sogenannter krimineller und terroristischer Vereinigungen im Ausland auch in Deutschland angeklagt werden, wenn ein Teil ihrer Tätigkeit in Deutschland stattfindet oder wenn die Täter oder Opfer deutsche Staatsangehörige sind.

Allerdings muss zusätzlich eine „Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz (BMJ)“ erteilt werden, damit der Generalbundesanwalt die Ermittlungen aufnehmen kann. Es ist diese Bestimmung, die Ayaz‘ Geschichte so brisant macht. In seinem Fall entscheidet nicht nur die Justiz, ob strafrechtliche Ermittlungen durchgeführt werden dürfen, sondern auch die Politik: Ermittlungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn das Bundesjustizministerium eine Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Diese generelle Ermächtigung zur Strafverfolgung hochrangiger PKK-Kader wurde vom Justizministerium erstmals 2011 erteilt und seitdem nicht mehr widerrufen.

Auch während der Friedensverhandlungen zwischen der PKK und der Türkei zwischen 2012 und 2015 ging die Verfolgung weiter. Auf Anfrage der taz schrieb der BMJ-Sprecher: „Die Erteilung oder Nicht-Erteilung, der Widerruf oder die Beibehaltung unterliegt keiner Begründungspflicht.“ Zudem könnten und dürften „auch außenpolitische Belange und Interessen der Bundesregierung bei der Entscheidung des BMJ eine Rolle spielen“.

Bereits 2016, wenige Monate nachdem die EU den sogenannten Flüchtlingsdeal mit Erdoğan geschlossen hatte, sagte der türkische Präsident in einem Interview mit der ARD, er habe Angela Merkel bei einem Besuch 4.000 Akten von mutmaßlichen Terroristen geschickt. Merkel habe ihm zugesichert, dass das Gerichtsverfahren fortgesetzt werde. Bei seinem Berlin-Besuch im November 2023 freute er sich laut FAZ über ein Strafverfahren vor dem Oberlandesgericht Hamburg gegen einen mutmaßlichen Funktionär der kurdischen PKK, ohne jedoch den Namen von Kenan Ayaz explizit zu nennen.

Worüber hat Generalbundesanwalt Frank mit Erdoğan gesprochen?

„Es muss ein großer Zufall sein, dass der Haftantrag gegen meinen Mandanten wenige Tage vor dem NATO-Gipfel 2022 gestellt wurde, nachdem das Verfahren lange Zeit untätig war“, sagt Rechtsanwältin Antonia von der Behrens im Interview mit der taz. Auf dem Gipfel, bei dem Finnland und Schweden erstmals offiziell über die NATO-Mitgliedschaft verhandelten, hatte Erdoğan gefordert, dass insbesondere Schweden seine Anti-Terror-Gesetze verschärft.

Seitdem sind das Sammeln von Spenden, die Organisation von Treffpunkten, das Kochen oder die Bereitstellung von Transportmitteln strafbar, wenn sie der PKK zugute kommen. „Diesem offensichtlichen Eingriff in die inneren Angelegenheiten hat Schweden nach erheblichem Druck von Erdoğan im Juni 2023 mit einer sehr weitreichenden Gesetzesänderung entsprochen“, sagt von der Behrens.

Und noch etwas ist merkwürdig am Fall Ayaz: Vom 5. bis 7. Juli 2022, nur wenige Tage nach dem NATO-Gipfel, traf sich der ehemalige deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank nicht nur mit dem türkischen Generalbundesanwalt und dem Präsidenten des türkischen Kassationsgerichtshofs, einem der höchsten Gerichte der Türkei. Er traf auch mit Präsident Erdoğan zusammen. Das haben Recherchen der Frankfurter Rundschau ergeben.

Warum dieses Treffen so kurz nach dem NATO-Gipfel und während der laufenden außenpolitischen Bemühungen der türkischen Regierung, härter gegen die PKK vorzugehen, stattfand, ist nicht bekannt. Von der Behrens vermutet, dass das Verfahren gegen Kenan Ayaz ein Grund für den Generalbundesanwalt gewesen sein könnte, „nicht mit leeren Händen nach Ankara zu kommen“.

Auf Nachfrage der taz verwies die Sprecherin der Bundesanwaltschaft auf die Antworten Franks auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei vom August 2022, wonach es in dem Gespräch zwischen Frank und Erdoğan „um die Aufgaben und die Arbeit der jeweiligen Strafjustiz“ ging. Der Bundesanwalt habe mit Erdoğan kein konkretes Strafverfahren besprochen und „es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Bundesregierung den Inhalt von vertraulichen Gesprächen mit internationalen Gesprächspartnern nicht im Detail kommentiert“.

Kritik an Deutschlands Umgang mit der PKK

Manchmal falle es ihm schwer, die Logik der deutschen Politik zu verstehen, sagt Kenan Ayaz. Auf der einen Seite stehen die Türkei und Präsident Erdoğan, die versuchen, „den radikalen Islam weltweit zu stärken“ und die bereits in der Vergangenheit islamistische Gruppen in Syrien unterstützt haben. Auf der anderen Seite stehen die PKK und die kurdischen Kampfeinheiten der YPG in Syrien, die den Islamischen Staat in Syrien besiegt haben und als einzige Partei in der Region für ein demokratisches System und für Werte wie die Gleichstellung der Geschlechter kämpfen.

Er verstehe nicht, warum Deutschland auf der Seite der Türkei stehe und sie nach wie vor mit Waffen unterstütze, obwohl das Land wiederholt gegen internationales Recht verstoße. Als Beispiel nannte er den Angriff der türkischen Armee auf die syrisch-kurdische Stadt Afrin im Jahr 2018: „Die türkische Armee ist mit deutschen Leopard-Panzern in Afrin einmarschiert.“ Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages bezweifelte damals, dass die Angriffe der Türkei mit dem Völkerrecht vereinbar sind.

Wir würden gerne mit Kenan Ayaz über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sprechen, doch das ist in Anwesenheit des LKA-Beamten nicht möglich. Dennoch wird im Gespräch schnell klar, dass es ihm nicht um eine Distanzierung von der PKK geht – sondern darum, die Verhältnismäßigkeit im Umgang Deutschlands mit der PKK in Frage zu stellen.

„Ich würde mir wünschen, dass Deutschland aufhört, die PKK wie Terroristen zu behandeln“, sagt er. Der LKA-Beamte im Besucherraum mischt sich ein: „Eigentlich müsste ich hier aufhören.“ Ayaz legt seine Hand beschwichtigend ans Fenster: „Entschuldigung, Entschuldigung“, sagt er schnell. War er tatsächlich als Kader für die PKK aktiv? Das lässt sich nicht klären.

Laut Rechtsanwältin von der Behrens stützt sich die Staatsanwaltschaft vor allem auf aufgezeichnete SMS und Telefonate, die Ayaz geschrieben oder geführt haben soll. Die Interpretation der Bundesanwaltschaft, wonach Ayaz als angeblich hochrangiger und konspirativer Kader auch unter seinem Vornamen aufgetreten sein soll, hält sie für absurd.

Am Ende des 30-minütigen Treffens in dem stickigen Raum stehen Kenan Ayaz die Schweißperlen auf der Stirn. Gleich wird er wieder für zwei Wochen in seiner Zelle eingesperrt, ohne dass er Besuch empfangen darf. Sein Urteil wird im August erwartet. Ihm drohen bis zu viereinhalb Jahre Gefängnis. Nur so viel ist sicher: Das Urteil wird Kenan Ayaz nicht von seinen Überzeugungen abbringen.